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Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ)

 


Welfenbericht
Es gibt Familien, in deren Fotoalben man nicht blättern kann, ohne auch auf die eigene Geschichte zu stoßen. Auf die Geschichte ganzer Länder und Nationen. Und man kann noch so republikanisch gesonnen sein - die Welfen gehören zu diesen Familien, bei denen das Private Jahrhunderte lang politisch war. Heinrich Prinz von Hannover, im bürgerlichen Beruf Verleger in Göttingen, hat jetzt sein privates Foto- und Filmarchiv geöffnet. Im reich illustrierten Band "Welfenbericht" präsentiert er teils noch nie veröffentlichte Bilder aus 150 Jahren Welfengeschichte. Damit kommt er seinem Bruder zuvor, Welfenchef Ernst August, der ein ähnliches Buchprojekt im Steidl Verlag plant. Die Fotografie verbreitete sich gerade rechtzeitig genug, um Hannovers letzten König Georg V. noch im Amt ablichten zu können. Auf Fotos, die noch an klassische Porträtmalerei erinnern, zeigte sich der Monarch am liebsten im Profil, was seine Blindheit zugleich kaschierte und offenbarte. Der "Welfenbericht" zeigt auch Fotos verwundeter Soldaten der Schlacht von Langensalza (1866), nach der Georg V. ins Exil gehen musste. Für Fürsten hatten Fotos etwa die Funktion, die zuvor Reiterstandbilder und Münzprägungen hatten: Sie sollten ihren Ruhm mehren oder ihre Botschaften unters Volk bringen. Macht und Repräsentation bedingten einander. Historiker unterschätzen den Quellenwert von Foto- und Filmaufnahmen oft noch immer. Tatsächlich sind diese leicht manipulierbar. Doch gerade deshalb sagen sie viel über Selbstbild und Ansprüche der Porträtierten aus. Freilich muss man sie mit kritischem Blick betrachten: Queen Victoria, die als eine der ersten Herrscherinnen die neuen Medien im 19. Jahrhundert nutzte, blickte nie direkt ins Objektiv - und inszenierte sich so auf Fotos, die zu Hunderttausenden im ganzen Britischen Empire kursierten, als entrückte, fast unwirkliche Gestalt. Besondere Quellenkritik erfordert auch ein Gruppenbild vom Deutschen Fürstentag 1863. Das Bild, für das die Fürsten einträchtig posierten, dokumentiert einen der ersten politischen Fototermine der Welt. Es demonstriert Harmonie und Konsens - und soll so darüber hinwegtäuschen, dass die Reform der Bundesverfassung in Frankfurt gescheitert war. Als 1913 Kaisertochter Victoria Luise und Welfenprinz Ernst August heirateten, wurde das Ereignis als Versöhnung verfeindeter Familien dargestellt. Tabak- und Schreibwarenläden verkauften Postkarten des Paares, die im neuen Bromsilber-Schnelldruckverfahren als Massenware hergestellt wurden. Bei dieser Hochzeit wurde der erste deutsche Farbfilm gedreht. Er ist auf einer bemerkenswerten DVD zu sehen, die dem Buch beiliegt. Sie zeigt 42 historische Filmdokumente - unter anderem von der Beisetzung Queen Victorias 1901. Filmsequenzen zeigen den früheren Kaiser Wilhelm II. 1930 im niederländischen Exil oder die Visite von König Paul von Griechenland und Königin Friederike 1951 in Hannover. Dazwischen gibt es immer wieder private Aufnahmen der Welfenfamilie beim Skifahren oder Jagen. Verfasst hat das Buch der Wolfsburger Historiker Peter Steckhan. Sein Text bietet einen anekdotenreichen, umfassenden Abriss von 150 Jahren Welfengeschichte. Dabei kommen allerdings Erläuterungen zu den Bildern fast etwas kurz, und die Rolle der Welfen in der NS-Zeit streift er eher knapp. Die Macht der Bilder konnte die Macht der Mächtigen seit jeher auch relativieren. "Jeder Moment des kaiserlichen Tages wurde an die Öffentlichkeit gezerrt, dem Geheimnis entrissen", schrieb der Literaturwissenschaftler Paul Fechtner mit Blick auf Wilhelm II. Die Journalisten hätten erkannt, dass "nichts so sicher einen Mythos zerstören kann wie das ständige Photographieren und Vorführen seines Trägers". Auch die Welfen wurden die Geister, die sie riefen, nicht mehr los, wie die Zusammenstöße des derzeitigen Welfenchefs mit Reportern belegen. "Prinz Ernst August führte bisher ein sehr facettenreiches Leben mit zahlreichen Höhen, aber auch manchen Tiefen", schreibt Steckhan überaus respektvoll. Er sei von aufdringlichen Paparazzi "nicht verschont geblieben und sah mehrfach seine Privatsphäre verletzt". Über die königliche Rohheit Seiner Königlichen Hoheit, über die Schläge für unliebsame Journalisten, breitet Steckhan den Mantel des Schweigens. So können auch Texte die Wahrheit unscharf wiedergeben. Nicht anders als Fotos.

 


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