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Neue Presse, Hannover

 


Ein neuer Hannover-Reiseführer zeigt die Orte ... in der Zeit des Nationalsozialismus
Im Keller der heutigen Stadtbibliothek an der Hildesheimer Straße verhörte die Gestapo ihre Häftlinge. Auf dem Ballhofplatz schlug die Hitler-Jugend ihre Trommeln. Die Villa Sternheim an der Lister Walderseestraße war Parteimuseum. Auch die Gauhauptstadt Hannover hatten die Nationalsozialisten tief durchdrungen. Die Orte, an denen die Täter wirkten, die Opfer litten und die Massen den Machthabern zujubelten: Die Historikerin Janet von Stillfried will sie sichtbar machen, und hat dafür einen ungewöhnlichen Ansatz gewählt. Sie hat einen Reiseführer geschrieben. "Das Sachsenross unterm Hakenkreuz" ist erschienen im Göttinger MatrixMedia Verlag von Welfenprinz Heinrich von Hannover. Der hatte von Stillfried auch gefragt, ob sie diese Aufgabe übernehmen wolle, nachdem es zuvor zu Braunschweig ein ähnliches Projekt gegeben hatte. "Ich hoffe, dass den Reiseführer auch Leute zur Hand nehmen, die sich sonst nicht so mit dem Thema beschäftigen", sagt die Autorin. Die Texte, in denen die Orte beschrieben werden, die in der NS-Zeit eine Rolle spielten, sind deshalb bewusst knapp gehalten, ohne jedoch wichtige Informationen auszulassen. Fotos von damals und heute sowie ein Stadtplan im Umschlag erleichtern die Orientierung. Ein dichtes Netz von Punkten macht das deutlich: Es waren alle betroffen. "Ich wollte zeigen, wie diese Volksgemeinschaft funktioniert hat. Es war einfach nicht möglich, nichts mitzubekommen", sagt von Stillfried. Sie will "dazu anregen, sich damit zu beschäftigen". Damit, wie nah Jubel und Verfolgung oft beieinander lagen. Deutlich wird das zum Beispiel an der Georgstraße. Links das Opernhaus, an dem regelmäßig. SA, SS und andere Parteitruppen bei ihren Paraden vorbeimarschierten. Direkt gegenüber der Georgspalast, wo der verbotene Jazz oder Swing gespielt wurde, zu dem rebellische Jugendliche tanzten, bis bei einer Großrazzia Ende 1942 die gesamte Innenstadt systematisch nach ihnen durchkämmt wurde. Wer sich nicht ohnehin schon seit Jahren mit der NS-Zeit auseinandersetzt, wird auch auf einige Überraschungen in dem Reiseführer stoßen. Was viele auf dem Ernst-August-Platz für einen Stromkasten halten, ist in Wirklichkeit ein Notausstieg des Tiefbunkers unter dem Hauptbahnhof. Viele werden auch nicht wissen, dass im Krieg zahlreiche Schulen Hannovers zur Unterbringung von Zwangsarbeitern genutzt wurden. Den Opfern und dem Gedenken an sie widmet von Stillfried fast die Hälfte der 288 Seiten ihres Buches. Dem Vorwurf, ihr Reiseführer könne als Orientierungshilfe für braun gesinnte NS-Touristen dienen, tritt sie deshalb gelassen entgegen. "Das Buch ist dazu viel zu kritisch. Wer so gesinnt ist, wird es schnell weglegen", ist sich die Autorin sicher. Sie wünscht sich stattdessen, "dass das Buch auch in Schulen pädagogisch genutzt wird. Ich glaube, dass man damit vielen Schülern gut einen Zugang zu dem Thema vermitteln kann, weil ihnen klar wird, dass all das direkt in ihrer unmittelbaren Umgebung passiert ist", sagt von Stillfried.

 


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