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Göttinger Tageblatt

 


Dokument für die Verlogenheit
„… dass ich menschlich gehandelt habe“, zitiert der Autor Jörg-Michael Schiefer in seiner Untersuchung „Speers Vollstrecker Willi Clahes“ den Vizepräsidenten der NS-Generalbauinspektion und eines mittelmäßigen und erfolglosen Juristen, der zur rechten Zeit das richtige Parteibuch, aber auch die Brutalität hatte, dem NS-Staat und seinen verbrecherischen Organisationen zu dienen. Das spannende, manchmal etwas zu ausführlich die bürokratischen Voraussetzungen der Nazis schildernde Buch liest sich wie eine Ergänzung und Kommentierung zur Aufarbeitung des Raubes jüdischen Eigentums durch Hinrich Wilhelm Kopf, die 2013 in der Untersuchung von Teresa Nentwig vorgelegt wurde. Genau das war auch die Aufgabe von Clahes (1895-1948). Er setzte mit zunehmender Brutalität tausende jüdische Menschen in Berlin auf die Straße und ließ sie durch Polizei und SS deportieren. Die entmieteten Wohnhäuser waren nicht Folge des groß anlegten Judenmordes, sie erfolgten auch auf Bestellung, die Schiefer ausführlich schildert. Zu den Bestellern gehörten die Allianz-Versicherung, aber auch die Verleger C.H. Beck und andere. Nach dem Krieg tauchte Clahes erst einmal auf Sylt, dann in Bremen unter, wo er sich dem dort sehr großzügigen „Entnazifizierungsverfahren“ stellte. Wer jemals Spruchkammerakten in der Hand hatte, weiß, dass sie von A bis Z frei erfunden waren, und dass es Seilschaften in alle Kreise, Kirchen, SPD, CDU und so weiter gab, die großzügig Entlastungen, sogenannte Persilscheine, eidesstattlich ausstellten. Schiefers Verdienst ist es, hier ein Dokument für die Verlogenheit der deutschen Nachkriegsgesellschaft vorgelegt zu haben. Die Täterschaft von Albert Speer wird hier von einem guten Kenner der speerschen Reinwaschungsversuche sorgfältig aufgespürt. Viele haben ihr Leben verloren, andere nicht ihre Pension.

 


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