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Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ)

 


Passion - Höllenfahrt eines Pastors
… Die Institution ist ein deutscher Mythos. Über Jahrhunderte hat sich das evangelische Pfarrhaus einen Ruf als Heimstatt von Anstand und Sittsamkeit erworben, als Pflanzstätte von Bildung und Gottesfurcht - und als Kulisse, hinter der Skeptiker seit jeher besonders tiefe Abgründe witterten. Vielleicht auch deshalb bewegte das Verbrechen 1997 die Republik: Die Polizei verhaftete damals Klaus Geyer, Pastor in Beienrode bei Braunschweig. In einem der spektakulärsten Indizienprozesse der Nachkriegsgeschichte wurde er schuldig gesprochen, seine Frau erschlagen zu haben. In der Verhandlung kamen auch amouröse Affären des Pastors ans Licht, der für den "Pfarrhausmord" zu acht Jahren Haft verurteilt wurde. Den entscheidenden Hinweis gaben Erdproben und eine tote Ameise unter Geyers Gummistiefel, die belegten, dass er am Fundort der Leiche war.

Der Berliner Altbischof Martin Kruse hat dem Drama einmal attestiert, es biete "Stoff für einen Dreigroschenkrimi". Jetzt hat der langjährige HAZ-Reporter Heinrich Thies, der damals als Journalist über den Prozess berichtete und Geyer auch im Gefängnis besuchte, einen Roman um den Fall gesponnen. Anders als der etwas reißerische Titel "Passion - Höllenfahrt eines Pastors" erwarten lässt, ist kein "Dreigroschenkrimi" dabei herausgekommen. Es geht auch gar nicht so sehr um die Frage, wer der Mörder ist. Stattdessen zeichnet Thies ein facettenreiches Psychogramm eines frustrierten, nach Anerkennung gierenden Theologen, der im Dorfalltag gestrandet ist.

In Rückblenden beschreibt der Roman, wie der anfangs als Kirchenreformer gefeierte Pastor immer stärker in den Schatten seiner Frau gerät, die als Starjournalistin viel Ruhm einheimst. Es ist beklemmend zu verfolgen, wie sich das eheliche Karussell aus Komplexen, Hoffnungen und Enttäuschungen so lange dreht, bis aus Liebe vollends Hass geworden ist. Am Ende ist von der einstigen Nähe zwischen beiden vor allem das Wissen um die verwundbaren Stellen des anderen geblieben und fast schicksalhaft läuft alles auf ein verhängnisvolles Ende zu.

Thies verlegt die Handlung in ein Heidedorf bei Celle und gibt seinen Akteuren andere Namen, doch die Parallelen zum Fall Geyer sind unübersehbar: Wie Geyer ist auch die Romanfigur Christian Linde eigentlich engagierter Pazifist. Beide sind charismatische, beliebte Prediger und beide streiten ab, das Verbrechen begangen zu haben. Geyer, der 2002 vorzeitig aus der Haft entlassen wurde und im Jahr darauf an Krebs starb, beteuerte bis zum Schluss seine Unschuld.

Der Fall Geyer hat bereits als Vorlage für Theaterstücke und den TV-Film "Mord im Haus des Herrn" gedient, doch Thies zeigt ein besonderes Gespür für das niedersächsische Dorfambiente, in dem die Geschichte spielt. In mehreren Büchern hat der Bauernsohn die heimische Heide schon zum Schauplatz seiner Geschichten gemacht. Thies bewegt sich mit der Beschreibung der Landschaften und Personen auf vertrautem Terrain: Da ist die verrückte Alte, die ihre Katze in einer Tasche mit sich durchs Dorf spazieren trägt. Da ist der knorrige Kirchenvorsteher, der "bloß kein Halligalli" im Gottesdienst will. Da sind peinliche Hochzeitsreden und Seniorengeburtstage, bei denen der Pastor als Ehrengast den ersten Schnaps bekommt. Der scheiternde Gottesmann führt ein Leben zwischen Beerdigungskuchen und Konfirmandengekicher. Die subtilen Schilderungen des Dorflebens und die genaue Zeichnung der Charaktere machen "Passion" zum bislang vielleicht besten Buch des Autors.

 


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