Presse
Braunschweiger Zeitung
Passion - Höllenfahrt eines Pastors
Passion - Höllenfahrt eines Pastors
Ein Krimi? Kaum. Wir kennen den Täter von der zweiten Seite an. Ein Tatsachenroman? Jein. Obwohl sich der Hannoveraner Journalist Heinrich Thies an dem berühmten Fall des Beienröder Pastors Klaus Geyer orientiert, der im Jahr 1997 wegen Mordes an seiner Frau verurteilt wurde, obwohl er die Tat bis zuletzt abstritt.
Der Pastor heißt bei Thies Christian Linde. Mit Geyer teilt er die 68er-Gesinnung, das friedensbeseelte Engagement, die Musikalität, die bewusst moderne, weltzugewandte Amtsausübung eines Dorfpfarrers - und auch seine sexuellen Eskapaden. Doch seine Binnenspannung erhält der Roman durch eine frei ausgesponnene Familienkonstellation. Lindes Frau ist nicht, wie die Geyers, Religionslehrerin, sondern eine erfolgreiche Journalistin, die von der örtlichen Tageszeitung zur renommierten Hamburger Wochenzeitung wechselt. Sie reist zu Reportagen durch die Welt, wird beachtet und gefeiert. Lindes Sohn ist Schauspieler, soeben bei den ersten lampenfiebrigen Karriereschritten.
Thies schreibt schlicht, manchmal bieder. Dennoch zieht er den Leser hinein. An die Stelle der Krimi-Spannung tritt die zunehmend drückende familiäre Katastrophen-Atmosphäre. Die Fäden schnürt er mit Rückblenden, während der Pastor verzweifelt nach seiner verschwundenen Frau fahndet. Verzweifelt? Oder doch insgeheim erleichtert? In den Rückblenden wird spürbar, wie die Dorfwelt mit ihren mehr oder minder biederen Bewohnern sich wandelt von der pastoralen Idylle zum Gefängnis eines ehrgeizigen, sich verkannt fühlenden Gottesmannes. Er neidet seiner Frau die Weltläufigkeit, ihre Erfolge, er verachtet ihre vermeintlich schnöseligen Freunde. Er sucht körperlichen Trost bei einem Mädchen und einer Lehrerin. Für die Frau umgekehrt wird immer klarer, dass die Existenz der Pfarrersfrau auf dem Dorfe für sie eine Sackgasse war. Sie will raus und will sich das nicht eingestehen. Die Kämpfe und Kräche werden härter, roher. Bis sie sich in tödlicher Gewalt entladen.
Das Irre an der Pastor-Geyer-Geschichte ist ja, dass der Mann bis zum Tod felsenfest glaubte, ein Justiz-Opfer zu sein, obwohl alle Indizien gegen ihn sprachen, ja: schrien. In dem Roman von Heinrich Thies wird dies Phänomen als vollständige Verdrängung, als Abspaltung der bösen Tat vom eigenen, gutmenschlichen Ich-Bild stoisch durchgehalten. Thies, der einst als Journalist über den Prozess berichtet hat, macht durch die Schilderung der Tat im Prolog keinen Hehl daraus, dass er von Lindes (also Geyers) Schuld überzeugt ist. Aber er gibt seiner Kunstfigur die Würde des psychisch bedingten Nicht-Wissens. Darum ist diesem Pastor auch der Weg der Reue und Buße versperrt. Ihm bleibt nur der trostlose Untergang bis zum Selbstmordversuch in der Zelle. Der Roman verurteilt nicht, er erschauert vor dem menschlichen Abgrund.
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